Fehler machen oder Mut zur Schwäche!
Im Liverollenspiel absichtlich Fehler zu machen, ist manchmal gar nicht so einfach. Denn irgendwie muss man dabei ja durchaus befürchten, dass die Mitspieler OT verärgert darüber sind, wenn dadurch ein lange vorbereiteter Plan schiefgeht. Oder im schlimmsten Fall kann es gar schwerwiegende Konsequenzen bis zum Charaktertod geben, weil die NSCs womöglich so etwas sagen wie: „Wer so dumm ist, der hat nichts anderes verdient als zu sterben.“ Außerdem will man ja auch mal der Held sein, alles richtig machen und Erfolge erleben.
Die Hemmnisse sind also durchaus nachvollziehbar und eine gesunde Angst vor der Reaktion liegt durchaus darin begründet, wie wir früher Liverollenspiel gemacht haben, also vor allem in der streng verfolgten IT-Logik von Charakteren, auch der von Bösewichten auf der klassischen NSC-Seite.
Allerdings wollen wir heute ja spielförderndes Metagaming betreiben, was auch damit einhergeht, Vertrauen in unsere Mitspieler zu haben. Im optimalen Fall erkennen sie nämlich, wenn wir absichtlich einen Fehler machen oder Schwäche zeigen, um das Spiel aller Beteiligten zu bereichern.
Plausibler wird das wohl mit einer kleinen Beispielgeschichte, die sich auf einem Liverollenspiel im Jahr 2016 tatsächlich genauso zugetragen hat:
Die Charaktere der Geschichte haben es mit einem ehemaligen Praios-Novizen zu tun, der seine Prinzipien verraten hat, um seine Redegewandtheit und sein Charisma zu nutzen, um die einfache Landbevölkerung gegen die Vertreter von Recht und Ordnung aufzuhetzen. Im religiösen, verblendeten Eifer streiten die aufgewiegelten Leute gegen die Streiter des Lichts, was zu sehr unschönen, blutigen Kämpfen führt, die viele Charaktere schwer belasten. Daher wagt es eine kleine Gruppe von Charakteren, trotz vielfacher Bedenken und gegen den Rat der Verantwortungsträger, den Anführer der Aufwiegler zu einer geheimen Verhandlung im Wald zu treffen.
Die Aktion ist mit der Spielleitung abgesprochen und den NSCs angekündigt. Auch einige Mitspieler wissen davon, auch wenn sie es nur zum Teil für eine gute Idee halten. Gleichzeitig wissen die Beteiligten des Verhandlungstrupps auch, dass es durchaus eine Falle sein könnte, die für sie sehr unangenehm ausgehen würde, wenn sie der Feind verrät. Trotzdem wagen sie es, denn sie haben das Bestreben, weiteres, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Und im Rahmen des Metagamings hoffen sie darauf, dass cooles Spiel aus dem Wagnis entsteht.
Das Treffen im Wald, genau wie die Verhandlungen, laufen nicht gut, denn die Verabredung war eine Falle, die Charaktere werden gefangen genommen, ausgelacht, beschimpft und geprügelt. Dabei kommt jedoch in keinem Moment ein Gefühl von „Ihr habt einen OT-Fehler gemacht und dafür bestrafen wir euch jetzt“ auf, sondern die Szene ist klar eine „Ihr habt euch in diese Situation begeben und wir als eure Mitspieler werden euch jetzt zwar hart rannehmen, aber in allererster Linie vor allem schön miteinander spielen“-Situation.
Entwaffnet und gefesselt, übrigens nicht geknebelt, um weiter sprechen zu können, werden die Charaktere mitgenommen und können die ganze Zeit verbal auf die Schergen des Bösewichts einreden, mit dem Ziel, diese davon zu überzeugen, von ihrem Tun abzulenken. Allerdings zeigt dies zunächst keinen Erfolg, sie werden geprügelt und IT extrem schlecht behandelt.
Der Bösewicht nimmt die Gefangenen mit zum Lager der „Guten“ und will diese gegen die Gefangenen eintauschen, die es auf der Gegenseite gibt. Es kommt zu einer Endschlachtsituation, die allerdings nicht sofort in einen Kampf ausartet, denn beide Seiten haben Grund zur Interaktion, schönem Konfliktspiel, Verhandlung, Drohung und anderen Spielinhalten. Derweil verraten zwei der Bösewichte ihren Anführer, denn die Überzeugungsversuche waren erfolgreich, und befreien zwei der Gefangenen. Diese haben die Möglichkeit, zu fliehen oder coole Aktionen innerhalb der Reihen der Bösewichte zu machen, eine perfekte Gelegenheit für Heldentaten! Ansonsten sind die NSCs sehr bedacht darauf, die gefangenen Mitspieler zwar schlecht zu behandeln, sie zu prügeln und herumzuzerren, aber keiner von ihnen wird sinnlos umgebracht, auch wenn das möglicherweise in einem Geisel-Szenario IT-logisch gewesen wäre. Und ja, es wurde natürlich damit gedroht, aber den „Guten“ auch genug Zeit gelassen, zu reagieren und etwas dagegen zu unternehmen.
Nach der Schlacht kamen sehr viele Mitspieler auf den Verhandlungstrupp zu und konfrontierten sie mit ihrer Aktion und den Konsequenzen. Manche fanden es gut, manche nicht so gut, es gab Konfliktspiel, Drama und schönes Charakterspiel. Und auch als später noch eine Art Gerichtstribunal der IT-Autoritäten (Praioskriche) stattfand, vor dem sich die Charaktere erklären und rechtfertigen mussten, wurden sie nicht unangenehm für einen OT-Fehler in die Pfanne gehauen, sondern alle Beteiligten achteten darauf, dass sehr schönes und sauberes Konfliktspiel entstand.
Was als klassische Endschlacht angelegt war, ist durch Spielerinitiative und den Grundsatz „Mut zum Fehler!“ zu einer tollen, verzwickten Spielsituation geworden.
Ein paar Anregungen für das Konzept „Mut zum Fehler“
- Nutze eine Gelegenheit, um Fehler zu machen, die dazu führt, dass deine Mitspieler etwas Cooles machen können oder einen Erfolg haben. Speziell Charaktere, die ohnehin einen hohen Spielanteil haben, können sich auf diese Art und Weise zurücknehmen und trotzdem Spiel generieren und selbst bekommen.
- Wenn du einen Fehler planst, dann binde die SL mit ein. Wenn die Leute wissen, was du vorhast, können sie dich auch besser unterstützen, z. B. durch die Ermöglichung der Verhandlungsszene im Beispiel oder auch durch ein Briefing an die NSCs, in dem man ihnen sagt: „Hey, keine Charkills. Die machen das nicht, weil sie komplett bescheuert sind, sondern weil …“
- Binde auch deine Mitspieler in den Plan ein. Die Kommunikation kann vollständig IT erfolgen, und es wird sicherlich zu interessanten Diskussionen kommen. Wenn deine Mitspieler wissen, was du vorhast, können sie dich durch die folgenden Konflikte tragen.
- Wenn es ein spontaner Fehler ist, dann stelle ihn schön dar, ärgere dich IT (nicht OT) darüber und vermittle durch die Interaktion mit deinem Umfeld, dass es ein Fehler war, der jetzt irgendjemandem nützt. Das gemeinsame Ausbügeln ist Teil des Spaßes!
- Bespiele die Konsequenzen des Fehlers und habe Spaß damit.
- Gehe auf Charaktere zu (z. B. Seelenheiler, Geweihte, deinen Verteidiger …), um den Fehler aufzuarbeiten und einen solchen ggf. in Zukunft nicht mehr zu machen.
- Habe Vertrauen in deine Mitspieler und darauf, dass sie erkennen, was du da tust, und dich dabei unterstützen. Und wenn sie es mal nicht checken, dann steuere erst IT deutlich nach und nimm sie notfalls mal OT kurz zur Seite, um zu erklären, was du vorhattest. Nicht jeder kennt diese Anregungen hier, aber du kannst uns dabei unterstützen, diese Konzepte zum spielfördernden Metagaming vorbildlich zu nutzen.